»Von den verschiedenen Betrachtungsweisen der Welt ist eine der interessantesten die, sie sich aus Schemata [patterns, i.O.] zusammengesetzt zu denken.« (Nobert Wiener (1952): Mensch und Menschmaschine, S.15)
Ohne viel Aufhebens meinte neulich, nach Abschluss eines Kennenlerngesprächs, nicht ohne etwas Empörung in der Stimme, jemand zu mir: »Der hat dich ja ganz schön gemustert!« Was der alltägliche Sprachgebrauch an Vokabeln überhört, hinterlässt in schriftlicher Betrachtung ein anhaltendes Staunen – zumindest bei mir. Was meinte die Person damit? Was hat die angezeigte Person denn getan? Was hatte die betroffene Person – also ich – auszuhalten? Ohne Zweifel scheint es eine nicht gänzlich ungewöhnliche Situation gewesen zu sein. Ein Gespräch mit Fragen und Antworten, Denkpausen – gewollt/ungewollt –, kleineren Scharmützeln und Indiskretionen. Hinter dem Begriff der Frage allein steht freilich eine ganze Typologie, die zwischen völliger Belanglosigkeit, Böswilligkeit und Interesse bis Gier vermittelt. In diesem Falle waren es hauptsächlich Nachfragen oder auch Suggestivfragen, die zum einen nur Zur-Schau-Stellung des Wissens, zum anderen eigene Positionierungen aufdecken sollten. Wenngleich kein polizeiliches Verhör, so doch unangenehm.
Was in dieser Situation in nicht allzu
diskreter Weise vollzogen wurde, ist aber unser einzig möglicher
Zugang zur Welt. Was in der Betrachtung der Dingwelt zu
wissenschaftlicher Anerkennung führt, stößt in der
Mensch-Mensch-Kommunikation auf Ablehnung, sobald Akribie und
Konsequenz augenscheinlich werden. Wir mustern. Egal in welcher
Situation versuchen wir die Wiederholung ausfindig zu machen, die in
unsere bisher gemachten Erfahrungen einzuordnen ist. Der Philosoph
Oswald Schwemmer erklärte dazu sinngemäß, dass wir die Welt immer
durch das Muster unserer gemachten Erfahrungen hindurch wahrnehmen.
Wir sehen, hören, riechen, schmecken, fühlen, sprechen, etc. also
immer das mit, was wir schon gesehen, gehört, gerochen, geschmeckt,
gefühlt, gesprochen, etc. haben. Was für ein Ballast! Es ist
informationstechnologisch kaum vorstellbar, was wir dabei im
Arbeitsspeicher parat haben müssten. Doch gemeint scheint hier eher
das permanente Aktualisieren, Rejustieren oder Zerstören einer
sinnstiftenden Ordnung in der Art einer am Ende doch irgendwie
abstrakteren Form zu sein. Die körperlichste dieser internen
Musterungen ist seit Jahren en vogue und trägt deshalb gerne
neudeutsche Namen wie: tacit knowledge oder embodiment cognition.
Unsere Erfahrungen sedimentieren also auch in körperlichem,
zumindest wohl unbewusstem Wissen, das Handlungskompetenz fast in
Form von Reflexen habitualisiert. Unsere interne Musterung (oder
sollte man schon Maserung sagen?) ist nicht ausweglos. Immer wieder
können wir lernen, uns neu zu strukturieren. Eigentlich erhält
dieses System nur in seiner Bewegung Stabilität. Ohne steten Zustrom
an Instanziierungen, also Aktualisierungen von etwas, und dem
Erkennen deren Abweichungen verlieren wir auf wundersame Weise unsere
Prägung. Vielleicht nicht schnell genug für ein Menschenleben, wenn
es um das Fahrradfahren oder ähnliche in jungen Jahren erworbene
Einprägungen geht, aber in jedem Falle schnell genug, um an Können
in ausgefeilteren Techniken einzubüßen, die permanentes Training
erfordern. Welch pathologische Ausprägungen unsere Musterungen
annehmen können, belegen nicht nur wahnwitzige Auswüchse des
Kraftsports, bei denen es scheint, als ob die Betroffenen außer
Stoßen und Reißen keine andere Körpertechnik mehr ausführen
könnten. Die Psychopathologie des Musterns per se inszenierte Ron
Howard in „A Beautiful Mind“ am Beispiel des mathematischen
Spieltheoretikers John Forbes Nash, der in der filmischen Adaption
der Realperson Russell Crowe zu entsprechen versucht. Nashs Psyche
scheitert im Film an den zwangsläufig fehlgehenden Versuchen, alle
innerweltlichen Erscheinungen in mathematischen Mustern zu
beheimaten. Wie nahe diese Exzentrik trotzdem unserem alltäglichen
Blackout ist, wenn Welt und Vorstellung nicht mehr kongruent sind,
haben vielfältigste Experimente belegt. Allein das Fehlen eines
akustischen Signals (Motorgeräusch) zu einem als zugehörig
eingestuften visuellen Signal (fahrendes Auto) kann zum Totalversagen
unserer Handlungskompetenz führen. Nur kleine Dosen der Rejustierung
unserer internen Landkarte sind also verdaubar, ohne das gesamte
Weltbild aus den Angeln zu heben. Möglicherweise sind bestimmte
vor-/frühkindliche Prägungen besonders dafür geeignet, wobei sich
die Forscher bis heute darüber streiten, ob sie nun genetisch oder
sozial vererbt werden – z.B. die Chromakartierung unseres Hörens
in Oktaven –, im Falle einer notwendigen Remusterung, zu
Systemabstürzen zu führen.
Letztlich wird deutlich, dass der
Mensch als musterndes Wesen, also indem er seine Welt in Muster
gliedert und wahrnimmt, sich selbst Muster gibt, die wiederum die
Welt (be-)mustern. Es ist ein wechselseitig zirkulärer Vorgang
dieses Mustern, sowohl nach innen (Selbstbemusterung), als auch nach
außen (Weltmusterung) – selbstreferenziell könnte man abschätzig
sagen. Doch wie wichtig gut sortiertes und organisiertes
Schubladendenken ist, vergegenwärtigen uns alle 99% richtig
getroffener Urteile und »Reflexe«,
die zu einer Interaktion mit unserer Umgebung führen, die uns weder
in ein soziales, noch physisches Verderben stürzen.