Freitag, 1. Februar 2013

Zungenbrecher. Vom Wiederkauen der Liebe.

»Ich glaube, ich kann die Sätze nicht mehr sagen und nicht mehr hören, die im Verlauf einer Liebesaffäre ausgesprochen werden müssen.« Das lässt Wilhelm Genazino einen seiner lakonischen Romanfiguren über die Untiefen zwischenmenschlicher Intimbeziehungen resümieren. Tatsächlich stellt sich die Frage, wie kann ich etwas Einzigartiges wiederholen?

An anderer Stelle schrieb ich bereits über Erfahrung und von der optimistischen Naivität, mit der man sich in neue Beziehungen begibt, obwohl man um das Scheitern der vorherigen weiß. Mahnt es einen nicht, vorsichtiger mit seinen Worten zu sein? Ist ihnen überhaupt zu trauen?

Vielleicht findet man bei Niklas L. Klarheit über diese Frage?
»In diesem Sinne ist das Medium Liebe selbst kein Gefühl, sondern ein Kommunikationscode, nach dessen Regeln man Gefühle ausdrücken, bilden, simulieren, anderen unterstellen, leugnen und sich mit all dem auf die Konsequenzen einstellen kann, die es hat, wenn entsprechende Kommunikation realisiert wird.«
- Nein, Klarheit findet man bei ihm nicht. Aber er bestätigt mein Gefühl, dass ich bei manchen Pärchen bekomme, die in ihrer eigenen primordialen Ursprache miteinander sprechen. Sie sitzen mir meist in der U-Bahn säuselnd gegenüber und unterstützen den gehaltlosen Lautaustausch mit affirmativen Küssen. Letztere werden gern von einem summenden Ton begleitet und in zunehmender Frequenz dargeboten. Es hat etwas von einem Ritual der Bekundung der gemeinsamen Zugehörigkeit unter den Blicken der Anderen. Meist bin ich davon peinlich berührt, schaue auf meine Hände und frage mich: Meinen die das ernst?

Ein Gespräch findet immer unter der Prämisse statt, dass Wahres mitgeteilt wird. Doch in einer Intimbeziehung ist das Wahre nicht immer das Gesagte. Die gemeinsame Unterhaltung ist immer um ein Miteinander bemüht und möchte überbrücken, was Teil einer jeden Beziehung ist: Instabilität. Sind also die berühmten drei Worte nicht bereits ein Verweis auf das Ende ihrer Aussage?

Nicht unbedingt. Man sollte behutsam mit seinen Worten umgehen, denn sie verlieren schnell an Bedeutung, wenn sie an falscher Stelle, zum falschen Zeitpunkt oder einfach zu häufig artikuliert werden. Doch sind wir glücklicherweise in Beziehungen nicht nur auf die Sprache zurückgeworfen. Das Unbehagen gegenüber dem gemeinsamen Sprechen ist nämlich berechtigt, aber zu vernachlässigen.
Denn es sind nicht die Sätze, die uns verzaubern, sondern der dahinter liegende Gedanke, der uns berührt, weil er aus einem Gefühl entspringt, dass wir denken, mit unserem Partner zu teilen. Der Weg zu diesem Gefühl ist ein weiter und er führt meist über vertraute Gedankenwege und bekannte Sprachmuster. Aber eben nicht nur: Tanzen, Blicken, Schwitzen und Singen gehören ebenfalls dazu. Zwar sind wir sprachliche Wesen, aber wir müssen die Welt nicht ausschließlich auf Begriffe bringen, um sie zu erfahren. Der Ort der Liebe ist nicht ausschließlich der Kopf, dass möchte man dem depressiven Mann aus Genazinos Roman zurufen. Dann tanz doch einfach Deine Liebeserklärung! Denn Tanzen heißt Liebe mit den Füßen suchen.