Freitag, 29. April 2011

Fleet Foxes - Helplessness Blues

Lange war es still geworden um die Fleet Floxes. Die Folk-Band aus Seattle hatte 2008 das Revival des Genres maßgeblich mitgestaltet. Nun erscheint ihr lang ersehntes zweites Studioalbum „Helplessness Blues“. Die gleichnamige Single rotiert schon seit ein paar Wochen in der Radiolandschaft, der Longplayer kommt aber erst heute auf den Markt.

Die beruhigende Nachricht zu erst: Die Fleet Foxes bleiben sich treu! Wer Angst hatte, sie würden auf ihrem zweiten Album die Flucht aus ihrer Schublade antreten, der darf aufatmen. Trotz aller Hippie-Stigmatisierung sieht der Frontmann Robin Pecknold keinen Grund zur musikalischen Rebellion.

Robin Pecknold:
"Bei der ersten Platte sagten die Leute immer: 'Oh, Hippies!' Entweder nimmt man es an und denkt: 'Ich möchte nicht, dass die Leute so was noch mal sagen.' Und dann macht man es ganz anders. Oder man sagt sich: 'Mir ist egal was die Leute sagen. Das wollen wir machen und daran glauben wir. Also machen wir es auch!'"

Gesagt, getan? Von wegen, volle drei Jahre hat es gedauert, bis der neue Longplayer endlich im Regal steht. Nach ausgiebigen Touren und einigen Sound-Experimenten wusste Pecknold nicht mehr, wo ihm der Kopf stand. Erst als Joanna Newsom ihn bat, solo ihre Shows zu eröffnen, fand er zurück zum gewohnten Songwriting: starke Texte mit eindringlichen Melodien. Dazu arrangierte die Band vertraute Stilelemente. Die Akustik-Gitarren werden gezupft und der Hintergrundchor haucht offenen Vokalen sakrales Leben ein, bis der stampfende Rhythmus der Kesselpauke einsetzt.


Doch so einfach ist es auch wieder nicht. Nach dem ersten Song „Montezuma“ wird schnell deutlich, dass sich doch etwas geändert hat. Schon im nächsten Lied „Beduin Dress“ fiedelt es neuerdings munter zur Slide-Gitarre. Im Laufe des Albums bekommt man dann eine ganze Reihe neuer Instrumente vorgestellt; unter ihnen sind so exotische wie tibetische Klangschalen oder das Marxophon. Kein Problem für den geneigten Hörer, ein paar Klangexperimente gehören zum zweiten Album eben dazu. Doch dann schrammelt die Akustik-Gitarre auf einmal in bester Woodstock-Orgiastik. Bald staut sich Songfragment an Songfragment zu Collagen von ganzen 8min Länge auf. Spätestens an diesen Stellen werden dem idyllischen Hörvergnügen einige Strapazen zugemutet. Da bekommt die harmonische Nostalgie ihre ersten Risse.

Robin Pecknold:
"Verglichen mit dem ersten Album ist die Platte offener. Es geht nicht darum die Vergangenheit zu idealisieren. Es ist einfach mehr in der Gegenwart. Wir wollten ein Album ohne moderne Einflüsse machen, aber dabei nicht direkt nach den 60ties klingen."


„The Shrine/An Argument“ kann man als Albumminiatur begreifen. In 4 Fragmenten durchlebt man hier nicht nur die Stationen eines dramatischen Beziehungsendes. Man durchschreitet auch das musikalische Repertoire der Fleet Foxes. Neben Simon & Garfunkel und Midtempo-Hymnen bietet das jetzt noch Klangvirtuoses an. Doch bricht die Idylle auch an einigen Stellen auf, bleibt der größte Teil von „Helplessness Blues“ die ersehnte akustische Wohlfühldecke. In „Blue Spotted Tail“ verzichtet man sogar auf den typischen Kirchenhall und Robin Pecknold kriecht einem direkt ins Ohr. Einmal eingenistet, kann er dort auch mal ein paar ganz persönliche Fragen loswerden.

"Why in the night sky are the lights on?"
"Why is the earth moving round the sun?"
"Why is life made only for to end?"

Robin Pecknold:
"Mir war es sehr wichtig, dass die Texte auf der Platte deutlicher und direkter sind. Das wollte ich im Vergleich zum ersten Album anders machen, denn da waren die Texte nicht für jeden klar. Selbst mir waren sie nicht immer klar verständlich. Für diese Art von Musik ist es gut, klare Bedeutung hinter den Sachen zu haben. Das war diesmal mehr ein Fokus als auf dem letzten Album. Also Texte, die mehr aussagen als nur zu dem Vibe und dem Gefühl der Musik zu passen."

So entstehen autobiographische Erzählungen, in denen die Wirklichkeitstreue äußerst ernst genommen wird: „I saw you among the crowd in a geometric patterned dress.“ Viel nüchterner kann man die Begegnung mit dem Objekt der Begierde wohl nicht beschreiben. Von seinen Inspirationsquellen der 60er und frühen 70er Jahre löst sich Pecknold damit endgültig ab. Die waren nämlich – allen voran Bob Dylan – stets damit beschäftigt, sich so gut wie möglich eindeutigen Interpretationen zu entziehen. Dem lyrischen Gehalt von „Helplessness Blues“ schadet diese Herangehensweise nicht. Die Fleet Foxes haben die Bedürfnisse ihrer Fans fest im Blick, auch in Bezug auf ihre Live-Show. Denn sie wollen nicht nur, dass die Leute verstehen, was sie mitsingen, sondern auch der vergeistigten Bewegungsfeindlichkeit vorbeugen. Schmissige Uptempo Nummern wie „Grown Ocean“ haben das Potential, den Besuchern Mumford&Sons-Momente zu bescheren. 


Robin Pecknold:
"Ich denke, dass es muskulöser sein wird. Wir wissen, wie sich das Album anhören soll, wenn es die Leute zu Hause hören. Aber wir hatten auch in unserem Hinterkopf, wie wir die Songs live raushauen. Es wird lustig werden, sie dann laut und verrückt live zu spielen. Das wird eine intensivere Live-Erfahrung werden."

Zum Laut- und Verrücktsein haben die Fleet Foxes in den nächsten Monaten mehr als genug Gelegenheit. Ihre Welttournee bringt sie Ende Mai auch nach Deutschland. Bis dahin sollte man die Zeit nutzen, um sich tiefer und tiefer in „Helplessness Blues“ hineinzuhören. So ohnmächtig, wie der Albumtitel behauptet, ist die Musik der Fleet Foxes nämlich keineswegs. Auch wenn es insgesamt mehr Aufwand bedarf, sich mit dem Album vertraut zu machen, ziehen den Hörer doch einige Ohrwürmer sofort in den Bann. Von diesen Einfallstoren aus, erschließt sich das ganze Werk dann Stück für Stück. Ein typisches zweites Album eben, etwas facettenreicher und ausdifferenzierter. Was die Einen reifer finden, fehlt den Anderen an Hits. So trennt es fein säuberlich die Fans von den Hype-Anhängern. An Einfühlbarkeit und Harmonie allerdings steht es seinem Vorgänger in nichts nach.

2 Kommentare:

  1. Lieber Herr Schwesinger,

    vielen Dank für diesen einfühlsamen Einführungstext in die aktuelle Scheibe der Fleet Foxes. Mir gefällt die Kombination von O-Tönen und O-Texten. Dennoch - und auch schon gemeinsam angedacht - da geht noch mehr. Was sagt uns diese Scheibe über die Herren Pecknold & Co.? Oder anders: Was sagen uns die Herren Pecknold & Co. mit ihrer Musik?

    Besten Dank.

    Herr V.

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  2. Herr V.,
    vielen Dank für Ihren anregenden Kommentar. Natürlich steckt die eigentliche Frage zwischen den Zeilen: Wie ist der Zustand der amerikanischen Seele? Die emotionale Verfasstheit einer Nation ist nicht ohne Grund in ökonomisches Vokabular verwoben. Der Gefühlshaushalt einer Bevölkerung ist messbar, verlangt nach Produkten der affirmativen Identifikation und benötigt natürlich jene Ausbalanciertheit einer ausgeglichenen Zahlungsbilanz. Es liegt also nahe zu behaupten, am Zuspruch heimischer Musikproduktionen den warenförmig erfahrbaren Seelenzustand vermessen zu können.
    In der Person des "Outsiders" ist dieser Zustand nun bestens ablesbar. Robin Pecknold ist Identifikationsfigur der nach Integrität und Authentizität, Entschleunigung und Komplexitätsreduktion, Ursprünglichkeit und Ausdrucksmöglichkeit lechzenden amerikanischen Seele. Im sich täglich selbst überholenden unüberschaubaren medialen Chaos gewinnt die Nostalgie endgültig die Überhand im Fabrikgebäude der Sehnsüchte. Dennoch ist diese ambivalent: Man wehrt sich gegen den plumpen Vorwurf der Rückwärtsgewandtheit, denn man will zukünftig wieder mehr vergangen sein. Ganz im Sinne der Fleet Foxes sich mit heutigen Mitteln der Vergangenheit besinnen, dem Komplex aus "guten" Werten, "bewussten" Praktiken und "überschaubaren" Lebenskonzeptionen, die auf dem Weg ins heute irgendwo verloren gegangen sind. Robin Pecknold verkörpert so nicht nur eine Identifikations- sondern auch einen Sehnsuchtsmythos. Ohne jegliches Wissen darüber, ob Herr Pecknold denn auch im Privaten - sagen wir beim morgendlichen Zähneputzen - seiner musikalischen Leitmotive gerecht wird, ist die Hoffnung auf die alleinige Möglichkeit eines richtigen Lebens im falschen konsumierbar geworden. Egal ob im Autoradio, auf dem mp3-Player oder der heimischen Anlage, die Portion Eskapismus und Selbstvergewisserung ist nur einen Fingerdruck entfernt. Wie gebrochen und verletzt, ja wie groß der Wunsch nach der Innenwendung der amerikanischen Seele ist, zeigt den Wandel des psychoanalysierten Patienten an, der verschämt ob seiner 100 Jahre global herausposaunten Selbsttäuschung nun unangefochten an der Spitze der "crisis" steht.
    Herzliche Grüße
    Herr S.

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